Geir M. Brungot – Life is a Local Affair
Eva Furseth, Kunsthistorikerin


"Lichte den Anker Deiner Seele und begib Dich auf die Reise über die großen Meere."
Shirley Jacobsen

Es kann eine echte Herausforderung für einen Künstler sein, seine eigenen Ausstellungen zu lancieren, besonders eine so umfangreiche wie Geir Morten Brungots „Life is a Local Affair“. Wenn aber die Auswahl der Bilder und die Zusammenstellung am Ende stimmig sind, sehen wir eine Ausstellung die völlig frei von Konventionen ist. Die Ausstellung enthält Bilder, die im Laufe von 16 Jahren entstanden sind und gibt uns die Möglichkeit, sowohl Verbindungen herzustellen als auch Entwicklungslinien zu entdecken.

Der Ausgangspunkt für Brungots Kunst liegt hauptsächlich an dem Ort, dem er fest verbunden ist, in der idyllischen Fjordsiedlung Sykkylven. Hier leben knapp 8000 Seelen und der Ort ist von einer unglaubliche Entwicklung der Möbelindustrie geprägt. Hier ist er aufgewachsen und hier arbeitet er an seiner Kunst. „Sykkylven hat möglicherweise die schönste Landschaft von Sunnmöre“, schrieb Kristoffer Randers1890 und führte weiter aus: „Das was sie dazu macht, ist nicht nur eine bestimmte Einzelheit – nicht der Fjord – nicht die Berge, nicht die Gletscher, nicht das Tal – sondern all das zusammen, die harmonische Kombination des Großartigen mit dem Lieblichen.“

Dennoch ist es nicht das so offensichtlich Großartige, was Brungot aufgreift; er geht dicht an sein Motiv heran, sieht die Struktur des Bodens, die Oberfläche der Wand oder Grasbüschel in einem Kreisverkehr. Er weckt ein Gefühl des Wiedererkennens – etwas, das mit Worten schwer zu beschreiben ist und was man nur erfasst, wenn man dort heimisch ist. Trotzdem handelt es sich in Brungots Kunst nicht um den Heimatort als solchen. Das Motiv begrenzt sich nicht auf das, was die Kameralinse erfasst. Mit Hilfe des besonderen Blickes, unterstützt durch solides fotografisches und kompositorisches Handwerk, wird das Motiv auf ein höheres Niveau gehoben. Hier erfährt das Werk einen neuen Inhalt, losgelöst von der Realität, die es darstellt. Seine Kunst entfaltet sich dadurch im Bereich zwischen stimmungsgeladener Landschaftsfotografie und konzeptioneller Kunst. Eine Sammlung wie „ Die Welt in meinen Augen“ (1996 – 2002) macht zusätzlich im Titel deutlich, dass es sich um seine höchst persönliche Sichtweise handelt, der er Ausdruck verleiht.

Es ist schon eine sonderbare Welt, in die Brungot uns führt, aber es ist schwer zu sagen, warum wir das so empfinden. Vermutlich liegt es daran, dass wir hier auf Dinge treffen, die wir sonst übersehen oder wieder vergessen würden, bevor wir sie überhaupt wahrgenommen haben. In diesem Dasein voll von Eindrücken ist unser Hirn wohl dazu programmiert, Informationen auszusortieren. Da stehen wir also und sehen auf so triviale Dinge wie einen Kreisverkehr, Strukturen in Beton, offene Plätze.

Überall in Brungots Universum ist es öde und leer. Hier gibt es fast keine Menschen und sollten wir doch jemandem begegnen, so kehrt er uns fast demonstrativ den Rücken zu. Selbst dort, wo man große Menschenansammlungen erwarten müsste, ist niemand da. Die Menschen haben aber Spuren hinterlassen; eine städtische Szene mit Autos, eine Tischtennisplatte. Selbst wenn wir weit entfernt ein Fahrzeug auf einer Autobahn erahnen, verstärkt das den Eindruck von Einsamkeit – und dieser Eindruck verdichtet sich mit der Anzahl der Werke, die wir gesehen haben.

"Ist es nicht so, dass die „äußeren, objektiven“ Fakten nur in dem Maße Interesse wecken und Bedeutung erfahren, wie sie Eingang in unsere Gedanken und Gefühle finden und zu Stimmen werden, die tief in uns widerhallen, die, kurz gesagt, eins werden mit unserer Angst und Hoffnung, unserer Freude und unserem Leid."
Vladan Desnica

Das Werk erscheint uns als eine Art geistige Landschaft und erinnert daran, dass wir letztendlich alle allein sind, gefangen in uns selbst und der unangenehmen Erkenntnis, dass uns niemals jemand wirklich verstehen wird. Diese Weisheit ist so alt wie die Menschheit, etwas, dass die Wissenschaft hektisch versucht, auszulöschen und was Künstler und Philosophen aller Zeiten als Herausforderung betrachtet haben.

Unter all den ausgestellten Werken ist es wohl die Serie „Ewig besitzt man nur das Verlorene“ (1999 – 2003), die den höchsten Symbolwert besitzt. Hier werden wir auf unterschiedliche Weise mit dem Tod konfrontiert; vom direkten und schmerzlichen zum metaphorischen Bild - wie u.a. dem Himbeerfeld. In melancholischer Stimmung wird man hier Grabkreuze wahrnehmen statt der Holzstative zwischen den Beerensträuchern.

Ein ständig wiederkehrendes Phänomen in Brungots Kunstschaffen ist die Erinnerung daran, dass unser Blick subjektiv und vom Kontext abhängig ist. Eine seiner wichtigsten Leitlinien, um das zu erreichen, ist die Ästhetik; seine Bilder sind einfach schön anzusehen. Jahrelang hat Brungot mit Schwarzweißbildern gearbeitet, gern mit kräftigen Kontrasten zwischen Licht und Schatten, die interessante Strukturen und Nuancen schaffen. Die Dinge werden so greifbar, als könnten wir den Grashalm pflücken, die Betonmauer mit den Fingerspitzen befühlen. Diese materielle Qualität spricht uns an und bewegt uns dazu, stehen zu bleiben und zu betrachten, so lange, bis wir auch das wahrnehmen, was unser Auge nicht unmittelbar erfassen kann. Vielleicht entdecken wir dann das Angenehme in dieser Stimmung von Abwesenheit, die in diesen Bildern ruht. In einem hektischen und überfrachteten Alltag ist es gut, etwas Stilles, Übersichtliches und Geordnetes anzutreffen. Dieses Phänomen erleben wir wohl am deutlichsten in der Ausstellung „Fotografie der Eintönigkeit“ (2001), deren Thema unterschiedlich strukturierte Flächen sind. Die Motive bestehen hier grundsätzlich aus wenigen Komponenten. Dennoch sind die Bilder so komponiert, dass sie eine diskrete Monumentalität erlangen, die uns eine enorme Ernsthaftigkeit und Tiefe erahnen lässt.

Diese meditativen Bilder führen uns zu Gedanken, die sich der Philosophie des Ostens nähern. Im Taoismus sind Leere und das Nicht-Vorhandensein nicht dem Nichts gleichgestellt, sondern dem nicht Vorhandensein fühlbarer Qualitäten. Damit erfährt das Nicht-Sein einen höheren Status als das Sein. Wenn ein Taoist die geistige Leere realisiert, bedeutet das, dass er sich von allen Hindernissen und aller Zerstreuung befreit hat, so dass sich das Tao im Menschen frei und spontan manifestieren kann. Nur so erreicht man Harmonie und Gleichgewicht. Dieser Gedanke harmoniert mit dem asketischen Ausdruck, den Brungot unterstreichen möchte. Auf den ersten Blick haben seine Fotografien einen minimalen Inhalt, aber nach und nach werden wir erleben, dass es gerade diese einfache Formsprache ist, die Raum und Tiefe verleiht.

"Die Menschen, die meinen, alles erklären zu können, setzen die Dinge
in ein selbst konstruiertes System, das ihrem Anspruch genügt, sowohl
Lebens- als auch Todesangst und den Hunger nach Unsterblichkeit zu dämpfen."
Per Hansson

Wenn es um Brungots Fotokunst geht, dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, ein fertiges Analysemodell anzuwenden, denn seine Bilder enthalten in der Regel eine kritische Pointe. Deshalb sollte man stets aufmerksam mit seinem Werk umgehen, genau so, wie mit dem Künstler persönlich. Brungot hat ein sehr waches und energisches Wesen; mit Freuden entthronisiert er jedwede Form von Autorität.

Selbst wenn wir uns für eine Interpretation entschieden haben, sollten wir uns damit nicht so sicher fühlen. Obwohl eine gewisse humoristische Stimmung und der schiefe Blick immer gegenwärtig sind, handelt es sich dennoch nicht um ironische Bilder. Die Ironie wird immer gedämpft durch eine zu nichts verpflichtende Distanz. Ein solcher Blickwinkel macht das ehrliche und innige weniger sichtbar.

Es gibt etwas, das definitiv nicht für Brungots Kunst zutrifft: In seinen Fotografien fühlt man nicht die geringste Andeutung ironischer Kälte, die uns vom Werk distanzieren könnte, eher etwas einladend Schelmisches. Selbst in den meisten Schwarzweißbildern findet sich das Hintergründige gern munter eingewebt, wie mit dünnen farbigen Fäden. Damit fordert uns der Künstler erneut heraus.

Brungots Bilder berühren eher unseren Instinkt als dass sie eine konkrete Botschaft übermitteln. Damit liegt es in der Verantwortung eines jeden Betrachters selbst die Zusammenhänge aus seinem Kunstwerk herauszulesen. Aber die Suche nach einem bestimmten Ich, was übrigens eine romantische und modernistische Idee wäre, funktioniert in diesem Fall nicht besonders gut. Es ist nicht Brungots Stil, ein Motiv zu schaffen, das sich endgültig definieren lässt. Es sind immer unterschiedliche Deutungen möglich, wenn die Bilder in ihrer Beziehung zueinander einen neuen Kontext schaffen. Ebenso wie sich Brungot ganz ungekümmert neue und unkonventionelle Dinge vornimmt, sollten wir uns als Betrachter eine ähnliche Herangehensweise an sein Werk erlauben; nicht zwanghaft resümierend, sondern frei und staunend. Genau dazu laden diese Bilder ein. Das Fehlen offensichtlicher Leitmotive lässt Raum zum Fabulieren.

"Was ist das, was ist das, was ist das?
sagst du immer wieder, während du auf das Bild
der Erde starrst
das in einem Sonnenfleck an der Wand flimmert"

Ole Sarvig

In den letzten Jahren erstreckt sich Brungots Kunst weit über die Grenzen des Landes hinaus. Es waren wohl die spanischen Motive, die ihn zu den Farben verführt haben, wie die Sammlung „Barcelona Manscape“ (2002) zeigt. Hier hält er sich an reine, klare Farben . So finden wir einige Bilder in kräftigen roten oder blauen Farben, gedämpft durch warme weißliche Nuancen.

In der Kunst wird der Begriff „Manscape“ gern benutzt, wenn es um Werke geht, die auf solche Landschaften focussieren oder solche Landschaften reproduzieren, die vom Menschen geprägt sind. Brungots „Barcelona Manscape“ führt uns in eine ungewöhnliche Realität, bestehend aus einem enormen Stadtbild. Hier treffen wir auf ein fremdes Land mit einem andren Klima, einem anderen Lebensmuster. Hätten wir nicht den Titel des Bildes zur Hilfe, wäre es schwer zu erraten, wo das Bild aufgenommen worden sein könnte – im Zeitalter der Globalisierung haben wir oft den Eindruck, dass das Bild einer Stadt von irgendwoher stammen könnte. Auch hier ist es öde und leer. Selbst dort, wo man Menschenmassen erwarten würde, ist es erschreckend still. Erst jetzt, wenn der Platz frei von wimmelndem Leben ist, wird der Platz als solcher sichtbar. Erst jetzt wird uns klar, wie unheimlich trist, fast kümmerlich die großen städtischen Plätze sein können, wenn sie so nackt sind. Ohne das strömende und pulsierende Stadtleben sind sie nichts weiter als leere Höfe. Haben wir erst genug aus der Sammlung „Barcelona Manscape“ gesehen, so erfasst uns die beklemmende Stimmung des Alleinseins in dieser öden und merkwürdig fremden Welt, die Brungot heraufbeschworen hat. Wir beginnen unwillkürlich, darüber zu fabulieren, weshalb es hier so menschenleer ist und was mit all den Menschen geschehen sein mag, die eigentlich hier sein sollten. Dennoch ist die Stimmung des Werkes nicht eindeutig negativ. Es gibt nämlich noch frische Spuren, die die Menschen hinterlassen haben und die anzeigen, dass dies hier kein permanenter Zustand ist. Hier wirkt alles frisch gewaschen und aufgeräumt, quasi fertig zur Benutzung. Sind die Bilder vielleicht in einem friedlichen Augenblick aufgenommen worden, unmittelbar bevor der Lärm und die Menschenmassen den Platz mit neuem Leben überschwemmen?

Ein anderes Werk, „Pariser Reflexionen“ (2004 – 2006), besteht aus etwa 100 kleineren Fotografien mit Spiegelbildern des Himmels auf ein und derselben Stahlwand in Paris. Dieses Werk kann gern als die Antwort der Fotokunst auf I. C. Dahls Studium der Wolken gelten oder auf Monets vielfältige Variationen über das Spiel des Lichtes über der Kathedrale von Rouen. Anstatt die Wolkenformationen direkt am Himmel zu studieren oder indirekt am Stein einer Kathedrale, hat Brungot eine spiegelblanke Fläche gefunden, die den Farbenreichtum des Himmels reflektiert. Aber diese Reflexion, die unsere Existenz darstellt, braucht nicht wie ein bleicher Schatten an der Wand zu sein, sondern wie die Vielfältigkeit des Regenbogens. Olav Lökke hat einmal über Brungots Bilder geschrieben, dass wir hier „ die Leidenschaft ahnen können, die direkt unter der Oberfläche liegt“. Diese Formulierung trifft fast die Hauptschlagader, die durch Brungots Gesamtwerk verläuft. Es ist nämlich ein enormer persönlicher Ausdruck, der das Fundament dieser Bilder ausmacht.